Die unglaublichen Ereignisse zu Elgern-Scharten


Auf ein Wort
Die folgenden Worte beruhen auf den gar wundersamen Erlebnissen, an denen ich in der Grafschaft Ichensteck zu Nostria teilhaben konnte. Jedoch mag meine Erinnerung (und der Met), das ein oder andere Ereignis getrügt und/oder verwechselt haben, so dass mir die dichterische Freiheit zugute kommt.


Prolog
Rahjala Rosenrausch hatte ihre Heimat in Havena verlassen, um die Welt zu bereisen und mit eigenen Augen die Wunder zu sehen, die sie bisher nur aus Büchern kannte.
Ihr Weg führte sie gen Norden, wo sie bald die großen Wälder Nostrias kennen lernen durfte.
Als sie eines Abends im Schankraum der Gaststätte, in der sie übernachtete, saß, hörte sie in einem Gespräch, dass der edle Herr von Sappenstiel alle wehrfähigen Frauen und Mannen aufgerufen hatte, sich auf der alten Königsresidenz in Elgern-Scharten zu sammeln und das Ichenstecker Land von der neuen Geißel zu befreien, welche ein grausiges Söldlingsheer über sie gebracht habe.
Ich habe viele tapfere Recken gesehen, die dort hinziehen, aber auch Händler, Barden und Handwerker scheinen die Gunst der Stunde für einen Besuch auf der Burg zu nutzen.“, sagte ein Mann am Nebentisch. „Dort wird bestimmt so einiges geschehen, dass man ein ganzes Buch damit füllen könnte.“
Was für eine vorzügliche Idee, dachte sich Rahjala. Auch ich werde zur Burg gehen und dann ein Buch füllen.




Der Dienstbote


„Bringe er mir mehr Wein.“
Sofort, edler Herr.“
Kerrik eilte mit dem Krug in der Hand zu dem Adeligen, der ihn herbei gewunken hatte (die langen Namen der hohen Herren hatte er sich noch nie merken können). Dabei übersah er einen dieser elenden Köter, der halb unter dem Tisch lag und stolperte über dessen Schwanz. Mit Müh und Not gelang es Kerrik jedoch, sich wieder zu fangen, so dass nur ein wenig Wein aus dem Krug schwappte – jedoch ausgerechnet auf den Ärmel des hohen Herren.
Kannst du nicht besser aufpassen?“, schalt der Adelige. „Du bis wohl zu nichts zu gebrauchen!“
Verzeiht, edler Herr.“, murmelte Kerrik mit niedergeschlagenem Blick und versuchte mit seinem Ärmel den des Herrn zu trocknen.
Doch dieser schlug seine Hand beiseite.
Geh mir aus den Augen. Du bist besser in den Ställen bei dem Vieh aufgehoben, dass genauso schmutzig ist wie du!“
Mit einer leichten Verbeugung entfernte sich Kerrik schnell in die Küche und bat Lana, seinen Platz einzunehmen, er würde dafür später für sie die Töpfe schrubben. Hier war er sowieso lieber als draußen bei den hohen Herrschaften. Die Küche war warm, roch stets gut und wenn Hilde, die Köchin, gut gelaunt war, ließ sie ihn schon mal von den Speisen kosten, die für die hohen Herrschaften bestimmt waren. Er wünschte nur, dass er von hier aus auch in den Hof blicken könnte, denn heute waren nicht nur die edlen Herren und Damen, sondern auch allerlei Volk angereist, dass dem Ruf seines Herren von Sappenstiel zu folgen, das Land vor weiteren Überfällen zu schützen. Gerade mal ein halbes Jahr war es her, dass die Burg so viele Gäste beherbergt hatte, als die unheiligen Vorfälle mit den Vampiren geschahen. Allein der Gedanke daran ließ Kerrik immer noch gruseln. Doch hatte man sie damals erfolgreich vertrieben und nun waren es wenigstens nur Orks und Söldnervolk und keine Übernatürlichen Wesen, die die Burg und die Umgebung in Sorge versetzten.
Doch nicht nur tapfere Recken waren diesmal dem Ruf gefolgt, sondern auch allerlei neugieriges Volk, sowie einige Händler und Handwerker, die wohl hofften ein Geschäft zu machen. Da war ein Schlösser, der nicht nur Schlösser sondern auch Handschellen feilbot, ein Schnitzer, der seltsame Muster ins Holz schnitzte und diese dann einem Mann übergab, der sie dann irgendwie auf Papier brachte. Eine Weberin webte feinste Stoffe, die eine Schneiderin zu Mützen und Taschen verarbeitete. Am wundersamsten aber fand Kerrik eine Frau, die aus verschiedenen Zutaten duftende Bälle formte. Sie erklärte ihm, dass man sie, nachdem man sie in Wasser getaucht hatte, auf die Haut reiben sollte. Weshalb, hatte er jedoch nicht so wirklich verstanden.
Unglücklicherweise war sein Herr jedoch kurz bevor die die Gäste eintrafen zur Königin gerufen worden, zu der er auch noch den größten Teil der Burgwachen mitgenommen hatte. So waren die Gäste nun ohne Gastgeber und die Bewachung der Burg sehr spärlich. Doch hatte Kerrik gehört, dass viele wehrhafte Männer und Frauen ihr Lager vor der Burg aufgeschlagen hatten, die die Burg sicher vor weiteren Angriffen schützen würden.

„Pssst…Kerrik…komm mal her!“, hörte er es plötzlich hinter sich flüstern.
Als er sich umdrehte, sah er Kara, die Schäferin, die durch einen Spalt der Tür lugte, die in den Hof führte. Seit seiner Ankunft auf der Burg vor etwa einem Jahr hatte er sich immer am Besten mit ihr verstanden. Er mochte ihre fröhliche und offene Art und sie konnte prima Geschichten erzählen, so dass er sich oft nach einem langem Arbeitstag zu ihr in den Stall stahl, um ihren neusten Erlebnissen auf den Weiden und Wäldern zu lauschen. Das meiste davon hielt er für ausgedacht und erlogen, doch war es stets eine nette Ablenkung nach einem langen Tag.
Was ist denn?“, gab er zurück und ging auf die Tür zu.
Nicht so laut.“, sagte Kara. „Es weiß keiner, dass ich hier bin. Aber ich muss dir dringend etwas erzählen. Komm mal raus.“
Vorsichtig warf Kerrik einen Blick zur Köchin, die in ihrem Lehnstuhl am Feuer sass. Das Abendmahl war bereits abgeräumt und man wollte ihn sowieso nicht mehr im Saal haben, also konnte er beruhigt hinausgehen und ein kleines Schwätzchen mit Kara halten. Er folget ihr in den Hof, wo sie ihn in eine dunkle Ecke zog.
Was ist denn nur so geheimnisvoll?“, fragte er schließlich.
Ein schelmisches Grinsen erschien auf ihrem Gesicht.
Ich hab was gefunden, das errätst du nie!“
Dann sag es mir doch.“
Nein, zuerst musst du raten.“
Aber du hast doch gesagt, dass ich es nie errate.“
Versuch es trotzdem.“
Aber wenn ich es doch nicht erraten kann…“
Och Kerrik,“, sie zog ein langes Gesicht. „Sei doch nicht so stur.“
Ich bin überhaupt nicht stur, aber was nützt es zu raten, wenn du sagst, ich kann es nicht erraten.“
Ist ja gut.“, sagte Kara schließlich. „Dann sag ich es dir eben so.“
Sie senkte die Stimme zu einem fast kaum hörbaren Flüstern.
Einen Schatz habe ich gefunden – eine Kiste voller Gold. Bestimmt zehnmal mehr Münzen als ich Finger hab.“
Tatsächlich.“, antwortete Kerrik skeptisch. „Und ich nehme an, eines deiner Schafe hat sie ausgeschissen.“
So ein Unsinn. Schafe können doch kein Gold scheissen. Nein ich hab die Kiste in der Nähe des zugemauerten Gewölbes gefunden. So viel Gold, das glaubst du nicht.“
Du hast recht, dass glaub ich nicht. Das ist doch wieder nur eine deiner Geschichten.“
Nein, diesmal wirklich nicht. Es ist wahr. Bei Phex, ich schwöre es dir.“
Dann beweis es!“
Kara überlegte einen Moment.
Na gut, warte hier auf mich.“
Sie eilte davon, während Kerrik ihr nachstarrte und sich grübelnd am Kopf kratzte. Eine ganze Kiste voller Gold? Er hatte noch nicht mal ein einziges Goldstück in der Hand gehabt, geschweige denn eins besessen und dann sollte da einfach so eine ganze Kiste herumstehen? Das konnte er kaum glauben.
Er setzte sich auf eine Bank in der Nähe und grübelte weiter, so dass er gar nicht bemerkte, dass sich jemand neben ihn setzte.
Ein furchtbares Wetter ist das, nicht wahr?“
Verdutzt sah er neben sich und erblickte eine Dame in einem langen Gewand, die aussah als sei sie von Stand. Jedoch konnte er sich nicht erinnern, sie auf dem Bankett gesehen zu haben. Sogleich sprang er auf.
Verzeiht, edle Dame. Kann ich euch behilflich sein? Seid ihr zu spät zum Bankett gekommen?“
Bankett?“, sie runzelte die Stirn, doch dann hellte sich ihre Miene auf und verzog sich zu einem Lachen. „Nein, ich gehöre nicht zu dem hohen Volk.“
Kerrik setzte sich wieder und musterte sie. Auf dem zweiten Blick erkannte er, dass ihr Gewand deutliche Reisespuren und auch den ein oder anderen Riss aufwies und gar nicht so fein war, wie es ihm zuerst erschienen war. Allerdings sah sie auch nicht so aus, als wäre sie harte Arbeit gewohnt.
Weshalb seid Ihr dann sonst hier?“
Ich versuche mich als Schriftstellerin und hoffe über die Ereignisse, die sich hier zutragen berichten zu können.“
Und wie wollt Ihr das tun?“
Indem ich sie aufschreibe.“
Und wie macht ihr das?“
Warte, ich zeige es dir.“
Sie öffnete ihre Tasche, zog ein Buch und eine Feder heraus, die sie in ein kleines Töpfchen tauchte.
Wie ist dein Name?“, fragte sie schließlich.
Kerrik“, antwortete Kerrik während er neugierig die Feder betrachtete.
Schließlich legte sie die Feder auf das Blatt und begann damit zu wackeln, so dass unregelmäßige Linien auf dem Blatt entstanden.
So, hier habe ich deinen Namen geschrieben.“
Kerrik legte den Kopf schief und betrachtete die Linien.
Das bin ich?“
Nun, zumindest dein Name.“
Darf ich es auch einmal versuchen?“
Warum nicht.“
Sie drückte ihm die Feder in die Hand, die er etwas unsicher ergriff.
Nein, nicht so.“, korrigierte sie ihn. „Du musst sie so halten. Es ist ein zartes Ding, weißt du, kein Kochlöffel.“
Nachdem er den Griff geändert hatte, drückte er die Feder auf das Papier und begann zu wackeln. Tatsächlich entstanden so auch bei ihm die unregelmäßigen Linien.
Und das ist nun mein Name?“
Sie lächelte.
Nun, nicht so richtig. Warte, lass mich deine Hand führen.“
Sie ergriff seine Hand und bewegte sie über das Papier.
Das ist dein Name.“
Er legte den Kopf schief und betrachtete die Linien.
Toll, ich habe meinen eigenen Namen geschrieben!“
Er blickt auf und sah Kara auf sich zukommen. Aufgeregt winkte er sie herbei und deutete auf die Linien.
Schau nur Kara, das ist mein Name, den hab ich selbst geschrieben!“
Ja ja“, antwortete Kara uninteressiert. „Aber schau mal, was ich habe.“
Sie öffnete ihre rechte Hand, die sie bisher zur Faust geballt hatte und er erblickte ein goldenes Glitzern. Seine Augen wurden größer. Doch schnell hatte sie die Hand wieder geschlossen.
Zeig doch noch mal!“, forderte er sie auf.
Sie schüttelte jedoch den Kopf.
Nicht hier.“
Ach komm schon.“
Er ergriff ihre Faust und wollte sie öffnen, doch flink wie ein Hase entwand sie sich ihm und stürmte über den Hof davon. Sogleich sprang er auf und rannte hinter ihr her. Einmal in seinem Leben wollte er ein Goldstück in seinen Händen halten und wenn sie nun eine ganze Kiste davon hatte, würde sie ihm bestimmt eines abgeben.




Der Schriftgelehrte

Stirnrunzelnd durchforschte Therion die alten Schriftrollen. Eigentlich war er ja auf die Burg gekommen, um sich als Dokumentenschreiber zu verdingen, doch schienen seltsame Ereignisse die Burg zu plagen. Letzte Nacht hatten mehrere Leute gar prophetische Träume gehabt und in allen war Fianna von Sappenstiel erschienen, die stets vor großem Unheil warnte. Dieses könne wohl mit einem Gottesdienst zu Ehren der heiligen Rondra abgewendet werden, bei dem fünf Dinge anwesend sein müssen, fünf Dinge, die es galt zu finden.
Es war nicht einfach gewesen, diese fünf Dinge aus den vielen Träumen, die über den Tag verteilt an ihn und seine Kollegen in der Bibliothek heran getragen wurden, heraus zu filtern. Sobald bekannt wurde, dass sie nach Träumen suchten, in denen Fianna von Sappenstiel vorkam, waren viele Leute an sie heran getreten, einige wohl auch nur, um sich wichtig zu machen. So berichtete ihm ein Dienstbote, er habe Fianna zusammen mit der Königin von Nostria auf einem Drachen reiten sehen, was Therion eher für unwahrscheinlich hielt. Doch nach langen und oft recht ermüdenden Anhörungen und Diskussionen waren Therion und seine Kollegen sich sicher, die richtigen Gegenstände herausgefunden zu haben: ein Kelch, ein Schwert, ein Schild, Blut und Worte. Einer seiner Kollegen war in einer alten Schriftrolle auf das Schwert Unbesiegt gestoßen, bei dem alle übereinstimmten, dass es das gesuchte Schwert sei. Auch der Kelch war in den Schriften entdeckt worden und es wurde vermutet, dass er mit dem Blut aus der Linie Fianna’s gefüllt werden müsse, um seine göttliche Macht zu offenbaren. Doch was waren die Worte? Es gab so viele Worte in einer Bibliothek.
Seufzend rieb sich Therion die schmerzende Stirn. Manche dieser Schriften waren kaum noch zu lesen und es kostetet ihn große Anstrengung sie zu entziffern. Es war sehr still in der Bibliothek, nur das leise Rascheln von Pergament oder das Kratzen einer Feder war manchmal zu hören. Therion setzte seine Brille ab und rieb sich die Augen. Dann blickte er sich um. Alle seine Kollegen waren tief über verschiedene Bücher und Pergamente gebeugt und viele hatten die Stirn in Falten gelegt. Die staubige Luft machten seine Kopfschmerzen nicht gerade besser. Vielleicht sollte er eine Pause einlegen und einen kleinen Spatziergang machen, um seinen Kopf wieder etwas frei zu bekommen. Jedoch vorher würde er noch dieses alte verstaubte Buch zu Ende durchforsten. Es fiel ihm schwer sich zu konzentrieren und er merkte, wie er oft eine Seite mehrfach lesen musste, bis ihm der Sinnzusammenhang klar wurde. So bemerkte er zuerst gar nicht, was er in den Händen hielt und als langsam eine Ahnung in ihm aufstieg, konnte er es kaum fassen. Aufgeregt sprang Therion auf.
Werte Kollegen, ich habe etwas gefunden!“
Alle Köpfe drehten sich zu ihm um.
Es ist ein Gebet zu Ehren Rondras, verfasst von Fianna von Sappenstiel.“
Sofort beugten sich seine Sitznachbarn zu ihm herüber.
Lasst mich einmal sehen.“
Doch im gleichen Moment erhob sich auch eine Kollegin am anderen Ende des Raumes.
Auch ich habe eine Entdeckung gemacht! Hier ist ein Gedicht zu Ehren Fiannas!“
Sofort entstand ein großer Tumult in der Bibliothek und eine wilde Diskussion entbrannte. Worte hatten sie nun gefunden, doch welche waren die richtigen?




Die Praios Geweihte

Bei Praios, in was für unheilige Zustände waren sie da nur geraten. Praiadne von Culming blickte verzweifelt aus dem Fenster zum Himmel. Selbst dieser schien ihr nicht wohl gesonnen, da dunkle Wolken das strahlende Auge des Gottes, dem sie treu ergeben war, verhangen hatten.
Vor einigen Tagen waren sie im Auftrag der Königin von Nostria nach Elgern-Scharten gekommen, um den unheiligen Ereignissen ein Ende zu setzen. Bei ihrer Ankunft hatten sie schon eine Frevlerin strafen müssen, die einen Stein auf die heilige Inquisition warf. Fünfzehn Peitschenhiebe und Kerker waren angeordnet worden – und dass der Bannstrahler in seinem Eifer ihr zwanzig Peitschenhiebe gab, konnte nur weiter zur Läuterung der Sünderin beigetragen haben. Sowieso schien viel zu viel ungläubiges Pack auf und um der Burg ihr Lager aufgeschlagen zu haben, was die Lage nicht gerade vereinfachte. Wieso Orkangriffe und Dämonengezücht das einfache Volk wie verfaultes Fleisch die Fliegen anzog, hatte sie noch nie verstehen können.
Zumindest war es der Inquisition gelungen, einen der dunklen Brut zu fassen, der nach vier Prüfungen, den Namen des Paktierers gestand: Answin von Sappenstiel. Ihm gelang die Flucht, wobei er nicht nur der Jagdmarshallin Alena von Sappenstiel-Stippwitz das Bein zerschmetterte, sondern auch einen der Magier schwer verletzte.
Aber diese Magier waren doch selbst Schuld. Sie schüttelte angewidert den Kopf. Nicht nur, dass sie die heilige Inquisition mit ihren Fragen belästigten, sie hatten doch tatsächlich auch mit aller Macht versucht, ein unheiliges Gewölbe zu öffnen. Als ihnen dies gelungen war, waren ihre tapferen Bannstrahler und alle anderen Mitglieder der Inquisition dort herein marschiert, um mit dem Segen des strahlenden Gottes gegen die unheilige Dunkelheit und was sich sonst noch dort befand vorzugehen. Keiner war wieder zurückgekommen und so war sie nun ganz allein.
Zumindest konnte sie verhindern, dass weitere Menschen in ihr Verderben gingen, in dem sie den Aufzug unbenutzbar machte. Nachdenklich drehte sie das Zahnrad in den Händen. So ein kleines Rädchen, das vor so viel Unheil bewahren kann. Auch ich bin wohl nur ein kleines Rad im großen Getriebe des göttlichen Willens. Aber kann ein einzelnes Rad großes Unheil verhindern? Schnell schob sie ihre Zweifel beiseite. Praios wird mir das Licht zeigen und meine Schritte weisen. Sie legte das Rad beiseite und ließ sich nieder auf die Knie, um zu beten.
Plötzlich hörte sie Schreie aus dem Hof.
Wir werden angegriffen!“
Bei den Göttern, Untote!“
Wo ist die Geweihte des Lichts?“
Sofort raffte sie sich auf, nahm das Zepter des Lichts fest in die Hand, atmete noch einmal tief durch und betrat den Hof. Was sie dort sah, ließ sie für einen Moment voll Grauens erstarren. Ihre tapferen Bannstrahler waren zurückgekehrt, doch waren ihre Gesichter zu Fratzen verzerrt und ihre Augen starrten ins Leere. Ihre Körper waren immer noch von Wunden überseht, die die Dämonen ihnen zugefügt hatten, doch sonderten sie nun einen fauligen Gestank ab. Ihre Bewegungen waren seltsam verlangsamt, so dass einige Mutige es gewagt hatten, gegen sie anzutreten, doch schienen sie mit ihren Waffen nichts ausrichten zu können. Praios steh mir bei, dachte Praiadne, und erhob ihr Sonnenzepter.
„Praios, ich bitte dich, sende dein Licht, um deine Jünger zu erlösen!"
Ein gleißender Lichtstrahl schoss aus dem Zepter und hüllte die untoten Wesen, die einmal ihre treuen Beschützer gewesen waren, ein. Das Licht trieb die dunklen Mächte aus bis schließlich ihre Seelen weiter wandern durften.

Praiadne sank erschöpft auf die Knie. Der strahlende Gott hatte seine Macht durch sie gewirkt und wie immer war sie währenddessen von einer gleißenden Wärme durchfahren worden, aber wie immer machte sich danach auch Leere in ihr Breit als hätte ein Vater die schützende Umarmung um sein Kind gelöst.
Doch Praiadne ließ sich nicht lange von dieser Erschöpfung aufhalten, sondern erhob sich bald, gestützt von einer Burgwache und rief alle zum Gebet zusammen, um dem strahlenden Gott für seine Gnade zu danken und ihn um weiteren Schutz vor den unheiligen Gestalten, die sich in Elgern-Scharten herum trieben, zu bitten.





Die Seefahrerin


„Lasst uns doch ein Lied singen“, rief Hardred und nahm einen großen Schluck Gerstensaft.
Muss dat sein?“, stöhnte Tjalva.
Ja, wat muss, dat muss.“, grölte Hardred und stimmte sogleich ein Trinklied an.
Tjalva schüttelte den Kopf, musste aber sogleich grinsen. So war nun mal ihr Käptn, immer ein Lied in der Tasche, auch wenn der Klang seiner Stimme eine Möwe vom Himmel holen konnte. Aber was gab es hier bei diesen Landratten schon anderes zu tun, als in der Taverne zu sitzen und die Lieder des Käptns zu ertragen. Gut, manchmal hatten sie dem ein oder anderem Ork den Kopp abschlagen können (schon fünfzehn Stück hatten sie um ihr Lager aufgereiht), was eine ganz nette Abwechslung war und dann war da noch dieser komische Waldmensch mit Hörnern, der ständig was von einem kaputten Baum faselte (warum er den nicht einfach umhaute, verstand sie auch nicht so recht), aber trotzdem konnte sie es kaum erwarten, die Wogenbrecher wieder zu besteigen und frischen Wind in der Nase zu spüren. Schon viel zu lange saßen sie hier bei der Burg fest, um Steineichen zu kaufen, aber die hohen Herren ließen sich wie immer Zeit mit den Verhandlungen.
Jetzt halt doch endlich mal dein Maul!“
Die Stimme der Wirtin riss Tjalva aus ihren Gedanken, doch der Käptn ignorierte den Protest einfach und sang lauthals weiter.
Wenne nicht gleich ruhig bist, gibt’s nix mehr zu trinken für dich!“, versuchte die Wirtin ihn zu übertönen.
Und wenn du mir nix zu trinken gibt’s, hör ich nie wieder auf zu singen!“, rief der Käptn fröhlich.
Gleich setzt’s was!“, drohte die Wirtin.
Doch bevor es zu einem handfesten Streit kam, wurde die Szene von Neuankömmlingen unterbrochen. Es war eine Gruppe Spielleute, die sich als die Galgenvögel vorstellten und ihre Dienste anboten. Erleichtert seufzte die Wirtin auf und wies ihnen sogleich einen Tisch zu.
Dann müssen wa nicht mehr dem Gejaule dieses Thorwaler zuhören – sehr schön.“
Hardred zog eine beleidigte Miene, die sich jedoch sogleich wieder aufhellte, als die Spielleute ein bekanntes Lied anstimmten, in das Hardred sofort mit einfiel. Sofort kam die Wirtin an ihren Tisch.
Schluß jetzt mit dem Katzengejammer. Lass die Spielleute ihre Arbeit tun und halt’s Maul – oder verschwinde hier!“
Gerade als Hardred zu einer Erwiderung ansetzten wollte, kam ein Tumult am Eingang der Taverne auf.
Drüben im Gewölbe wird gekämpft.“, war aus dem Stimmengewirr zu hören.
Die Augen des Käptns leuchteten auf.
Dat is doch mal was. Los Sturmreiter, da mischen wa mit!“
Er erhob sich und die Männer folgten ihm sogleich. Tjalva schüttelte jedoch den Kopf. Sie hatte sich heute schon genug mit Orks rum geschlagen und die Musik der Spielleute gefiel ihr. Sollten die Männer sich doch in Kampfgetümmel stürzen.
Na denn bis gleich!“, rief der Käptn noch und stürmte zur Tür hinaus.
Langsam legte sich der ganze Aufruhr auch wieder und mehr und mehr Leute kamen, um die Galgenvögel zu hören, so dass richtig Stimmung in die Bude kam. Tjalva begann das ein oder andere Lied auch lauthals mitzusingen und im Rhythmus auf den Tisch zu hauen.
Viele Lieder und viele Krüge mit Gerstensaft später wunderte sie sich, dass keiner der Männer bisher wieder gekehrt war. Da näherte sich die kleine Schriftstellerin, der sie gestern schon mal gezeigt hatten, wie man unter Thorwalern feiert.
Alles in Ordnung mit dir?“, flüsterte sie Tjalva zu.
Klar, warum denn nicht?“, antwortet Tjalva. „Hier, trink einen Schluck mit mir!“
Aber hast du es denn noch nicht gehört?“, antwortete das Mädchen bestürzt.
Wat denn gehört?“
Alle, die in die Gewölbe gegangen sind, sind nicht wieder herauf gekommen bis auf der Hauptmann des Blutclans.“
Tjalva wurde blass. Alle waren tot? Alle? Auch ihre tapferen Sturmreiter? Das konnte, nein, das durfte nicht sein. Bestimmt hatte sie was Falsches gehört. Sofort sprang Tjalva auf und eilte hinaus.




Der Ork

Breznak war stets ein guter Ork gewesen. Er hatte geraubt, wenn es was zu rauben war, gemordet, wenn ihm jemand nicht gefiel und er hatte immer seinem Hauptmann gehorcht. Doch langsam war er müde von den ständigen Angriffen auf die Burg und das Lager drum herum. Es war zwar ganz lustig immer wieder in die verschreckten Gesichter der Bewohner zu sehen und sie hatten auch die ein oder andere Geisel nehmen können (mit manchen hatte der Hauptmann sogar gestattet, sich zu vergnügen), aber immer wieder vom Lager diesen verdammten Berg rauf zu rennen, zerrte nicht nur langsam an seinen Kräften, sondern auch an seinen Nerven. Aber diesmal hatte der Hauptmann versprochen, dass dies nun der letzte Kampf sei und alle Orks zusammengerottet, um die Burg zu stürmen und sie endlich einzunehmen. Die Unterstützung der Dämonenmeister war ihnen auch zugesagt und so sollte es wohl kein Problem sein, diesen vermaledeiten Burglingen endlich den Gar auszumachen.

Als sie endlich wieder den verfluchten Berg erklommen hatten, gab der Hauptmann das Zeichen zum sammeln und hielt eine kurze Ansprache, die Breznak jedoch nicht verstehen konnte, weil er zu weit hinten stand. Trotzdem klopfte er auf sein Schild und brüllte lauthals mit seinen Kameraden als die Rede geendet hatte. Dann gab der Hauptmann das Zeichen zum Angriff und der große Sturm auf die Burg begann.





Der Söldner

Gemütlich lehnte sich der Hauptmann zurück in die Kissen der Teestube und nippte an seinem Glas. Sehr gastfreundlich waren diese Tulamiden und das Gebräu verjagte die Kälte in seinen Knochen, die sich durch den ständigen Regen dorthin geschlichen hatte. Von Draußen drang Kampflärm herauf, die Burg war anscheinend mittlerweile in arge Bedrängnis geraten. Nun er hatte direkt bei Ankunft der Burgverweserin die Dienste seiner stolzen Bluthunde angeboten. Diese hatte jedoch abgelehnt, als er ihr den Preis genannt hatte. Sicher würde er nicht das Leben seiner Männer aufs Spiel setzten, wenn es dafür nicht eine ordentliche Bezahlung gäbe.
Die Tür zur Teestube wurde aufgerissen und einer dieser Schreiberlinge, die der Burg dienten, starrte ihn und seine Männer ungläubig an.
Wisst ihr nicht, dass die Burg hart umkämpft wird?“, keuchte er schließlich.
Der Hauptmann gähnte herzhaft.
Doch, natürlich.“
Und wollt ihr nicht eingreifen? Ihr seid doch wohl gerüstet.“
Also,“ begann der Hauptmann. „aufgrund der Lage würde ich sagen, wir verdoppeln den ursprünglichen Preis. "Was? Aber die Burg – sie kämpfen im Hof. Vielleicht werden wir bald von den Horden überrannt sein.“
Dann müsst ihr euch wohl überlegen, was euch wichtiger ist, euer Gold oder euer Leben.“
Noch immer glotzte dieser Kerl ihn ungläubig an.
Aber…“
Sie kämpfen schon im Hof?“, warf der Besitzer des Teehauses ein. „Ihr müsst etwas unternehmen. Uns schützen. Ich bezahle euch.“
Ein Grinsen breitete sich über das Gesicht des Hauptmannes. Endlich jemand, der seinen Wert erkannte.
Gut.“
Er erhob und streckte sich.
Kommt Männer, wir ziehen in den Kampf.“
Die Verteidiger hatten mittlerweile einen Ausfall gewagt, doch drängten sie sich alle wie verängstigte Schafe vor dem Burgtor zusammen. Der Hauptmann schulterte sich in die vordersten Reihen, wo Männer mit Schilden standen, jedoch schien sich keiner so richtig zu trauen, anzugreifen. Selbst die Orks schienen verunsichert. Was ist das denn für ein Schlachtfeld auf dem keiner Kämpfen mag, fragte sich der Hauptmann, aber gut, vielleicht können wir das ja auch anders lösen. Er stellte sich breitbeinig in die vorderste Reihe und blickte die Orks an. Schnell hatte er ihren Anführer ausgemacht und rief:
Hauptmann der Orks, ich fordere dich zum Zweikampf! Wenn ich gewinne zieht ihr ab und wenn du gewinnst, könnt ihr die verdammte Burg haben.“
Der Ork stieß ein kehliges Lachen aus.
So ist die Burg schon unser!“, grölte er.
Das wollen wir doch mal sehen.“, antwortete der Hauptmann, nahm sein Schwert in die rechte und den Morgenstern in die linke Hand. Einen Moment tänzelten sie umeinander herum, doch bald setzte der Hauptmann zum ersten Schlag an. Eine Weile hielt sich der Ork wacker, doch der Hauptmann war trotz seiner Vollrüstung schneller als er. Schlag auf Schlag folgte und schließlich traf der Morgenstern knirschend den Kopf des Orks, der röchelnd zusammenbrach.
Einen Moment lang herrschte totenstille, doch dann brachen die Verteidiger der Burg in Jubel aus. Wenn sie jedoch glaubten, nun sicher zu sein, hatten sie die Falschheit der Orks unterschätzt, die kurz darauf zum Angriff übergingen. Doch der Tod ihres Hauptmanns hatte die Moral der Orks sichtlich geschwächt, so dass es den Verteidigern schließlich gelang, sie zurück zu schlagen und den Sieg zu erringen.
Schweißgebadet, aber zufrieden wischte der Hauptmann seine blutige Klinge an der Kleidung eines der toten Schwarzpelze ab und erinnerte sich an die kleine Schriftstellerin, bei der er beim Würfelspiel in der Taverne eine Massage gewonnen hatte - genau das Richtige nach einer erfolgreichen Schlacht.





Der Magier

Die große Schlacht war geschlagen und Adranon, Adeptus der Akademie der Verformung zu Lowangen, befand sich am Ende seiner Kräfte. Jedoch war er froh, dass alle Mitglieder seines neu gefunden Zirkels die Ereignisse heil überstanden zu haben schienen. Nun ja, fast alle. Adeptus Moebius aus Punin hatte sich todesmutig in die dämonenverseuchten Gewölbe gestürzt und war dabei einen heldenhaften Tod gestorben.
Doch wie waren die Ereignisse nun zu deuten? Hakon von Sappenstiel, der im Kampf vor ca. 400 Jahren von Rondra niedergestreckt wurde, nachdem er der Rondra-Geweihten Fianna von Sappenstiel in den Rücken gefallen war hatte Besitz von Answin von Sappenstiel ergriffen und somit die Dämonenplage ausgelöst, gegen die der Zirkel in den letzten Tagen versucht hatte, vorzugehen. Sein Handlanger Mishkaranor von Sappenstiel hatte ihn nach Folter durch die Praoiten verraten, doch war es Hakon gelungen, zu entkommen. Zumindest konnte Mishkaranor zur Strecke gebracht werden. Er hatte wohl vor einer Weile mit einer Frau namens Reviana ein Kind gezeugt und es nun geopfert, was die Mutter zum Anlass genommen hat, Rache an ihm zu üben. In einem Zweikampf war es ihr gelungen, ihn mit Hilfe des magischen Schwerts Unbesiegt zu töten. Zumindest eine Dämonenbrut weniger. Auch schien mit dem Abzug der Dämonen der Heilung des Baumes im nahen Wald durch den Druiden nichts mehr im Wege zu stehen, den die Dämonen fast zerstört hatten, um Unheil über die umliegenden Lande zu bringen.
Doch was nun? Sollte man sich noch einmal in die dunklen Gewölbe wagen, in denen der Kollege Moebius sein Leben lassen musste, um sicher zu gehen, dass die Dämonen zumindest von Elgern-Scharten vertrieben waren? Dies musste ausführlich besprochen werden.
Adranon blickte von seinen Aufzeichnungen auf in die Runde seiner Zirkelmitglieder. Sie hatten sich einen ruhigen Raum gesucht, fernab von dem lauten Pöbel, der nun den Sieg der Schlacht feierte.
Werte Kollegen, was haltet ihr von einem Besuch in den Katakomben, um die Umstände endgültig zu klären?“
Ein gefährliches Unterfangen“, antwortete Delilah, die Weißmagierin und Diplomatin des Zirkels. „aber so können wir sicher gehen, dass die Dämonen diesen Ort endlich verlassen haben.“
Auch die übrigen Mitglieder des Zirkels stimmten zu und so machten sie sich abermals auf zu den dunklen Katakomben. Tatsächlich war nur noch ein Nachhall der dämonischen Präsenz zu spüren, die Dämonen selbst waren jedoch eindeutig in andere Gefilde gezogen.
Stattdessen fanden sie dort eine schwere Holztruhe, die sie nach kurzem Zögern öffneten. Sie war randvoll gefüllt mit Goldstücken.
Nun, wenigstens ein kleiner Lohn für unsere Mühen.“, grinste Adranon und füllte seine Taschen mit einem Teil des Schatzes.




Rahjala

Rahjala schlug die Augen auf und blickte sich verwirrt um. Dies war eindeutig nicht ihr Lager auf der Burg, sondern ein … Zelt. Wieso war sie in einem Zelt? Sie bemerkte einen Atem im Nacken und stellte erschrocken fest, dass sie nicht allein war. Langsam kehrte die Erinnerung zurück. Die Feier in der Taverne nach dem Sieg gegen die Dunklen Mächte… die vielen Hörner voller Met … der Hauptmann, der ihr von seine Heldentaten berichtet hatte … der Hauptmann, dem sie die Spielschulden einlöste … der Hauptmann, der sie so galant umgarnt hatte … der Hauptmann, der sie eingeladen hatte, sein Zelt zu besichtigen... Was hatte sie nur getan? Abrupt richtete sie sich auf und ließ sich sofort wieder stöhnend zurück sinken, da ein pochender Schmerz hinter ihrer Schläfe hämmerte. Dabei bemerkte sie mit noch größerem Schrecken, dass sie keine Kleidung trug. Schnell zog sie die Decke bis zum Kinn und betrachtete, den noch immer schlafenden Hauptmann. Wie friedlich er doch da lag. Hatte sie ihm tatsächlich ihre Unschuld geschenkt? Schamesröte kroch in ihr Gesicht. Was ihre Mutter wohl sagen würde, wenn sie… aber nein, sie würde es niemandem erzählen. Am besten sie machte sich einfach still und heimlich aus dem Staub. Gerade als sie diesen Entschluss gefasst hatte, schlug der Hauptmann die Augen auf und lächelte sie an.
Guten morgen, meine Schöne. Hast du wohl geruht?“
Er zog sie zu sich und gab ihr einen Kuss. Verdattert ließ sie es geschehen, zog aber sogleich die Decke wieder enger um sich.
Schau doch nicht so erschrocken.“, lächelte der Hauptmann und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Gestern warst du nicht so schüchtern.“
Ich…äh…also…äh…“
Es schien dir auch recht gut zu gefallen, oder etwa nicht?“
Weitere Bilder tauchten vor ihrem inneren Auge auf. Wie sie ins Zelt kamen, sich gegenseitig die Kleider vom Leib rissen, und dann… ein wohliges Gefühl machte sich in ihr breit, dass aber sogleich von ihrer Scham verdrängt wurde.
Ähm…also…gestern…also ich meine letzte Nacht… also ich meine…au…mein Kopf tut weh…“, stammelte Rahjala vor sich hin.
Das kommt von dem Met, der sich über Nacht in einen kleinen Kobold mir zwei Hämmern verwandelt und mit diesem nun dein hübsches Köpfchen bearbeitet.“, antwortete der Hauptmann. „Wir nehmen jetzt ein kräftiges Morgenmahl ein und dann sieht die Welt schon wieder viel besser aus.“
Er sprang auf und streckte sich. Bewundernd betrachtete Rahjale seinen muskulösen Körper, wandte aber sogleich beschämt den Blick ab, als er es bemerkte. Er streifte sich ein Hemd und eine Hose über und zwinkerte ihr zu.
Ich erwarte dich dann draußen.“, sagte er und verschwand aus dem Zelt.
Als er gegangen war, suchte sie ihre Kleider zusammen, die im ganzen Zelt verstreut waren. Anscheinend hatte sie der Göttin, der sie ihren Namen verdankte, letzte Nacht alle Ehre gemacht. Verstohlen blickte sie schließlich aus dem Zelt, vor dem schon der Hauptmann mit seinen treuen Recken saß und sich ein herzhaftes Frühstück gönnte.
Als er sie erblickte, rief er sie mit strahlender Miene zu sich und zog sie auf seinen Schoß. Die Männer begannen über die Geräusche, die des Nachts aus dem Zelt des Hauptmanns gekommen waren, zu feixen und wieder wurde Rahjala ganz heiß im Gesicht.
Beachte sie gar nicht.“, lacht der Hauptmann und schob ihr ein Stück Apfel in den Mund.
Wir ziehen bald weiter und wenn du willst, nehmen wir dich mit. Du kannst unsere Chronistin werden und unsere Taten zu Papier bringen. Ich teile auch gern weiter mein Zelt mit dir, würde dir das gefallen?“
Rahjala sah ihn nachdenklich an. Bei den Bluthunden bleiben? Nun ja, sie hatte schon Gefallen an dem Hauptmann gefunden und wer konnte schon einen besseren Schutz in diesen gefährlichen Landen bieten als eine bis an die Zähne bewaffnete Truppe Söldner.
Du musst dich nicht sofort entscheiden.“, sagte der Hauptmann schließlich. „Vertreib erst mal den kleinen Kobold in deinem Kopf.“
Er drückte ihr einen Kuss auf die Lippen und diesmal erwiderte sie ihn.




Luna


„Das wird bestimmt ein gar wunderbares Kleid für den Geburtstag Eures geehrten Herrn Vaters! 50 Götterläufe – das ist doch was ganz besonderes!“
Die Schneiderin wuselte um Luna herum und steckte den edlen, roten Stoff ab.
Ja, eine große Feier würde es wahrlich geben, denn der Herr des Hauses von und zu Echterdingen war bekannt für seine großartigen Feste.
Der große Saal der Villa wurde dann stets prunkvoll herausgeputzt und die Gesellschaft vergnügte sich mit Tänzen, zu denen ein kleines Orchester aufspielte. Ihre Mutter liebte es zu tanzen, doch selten wiegte sie in den Armen ihres Mannes durch den Saal. Nein, Irian von und zu Echterdingen saß lieber in einem kleinerem Raum neben dem großem Saal, in dem Tische aufgestellt waren, an denen mit Karten, Würfel und Kugeln auf runden, drehenden Scheiben gespielt wurde.
Früher hatte Luna auf solchen Festen oft mit Rahjala in einer Ecke des Ballsaals gesessen und sich über die raus geputzte Gesellschaft amüsiert. Dabei war es ein beliebtes Spiel von ihnen gewesen, eine Unterhaltung zu beobachten und den betreffenden Personen Worte in den Mund zu legen.
Eines Tages jedoch forderte ein junger Edelmann Luna zum Tanze auf. Zuerst war sie erstaunt gewesen und nahm nur widerstrebend das Angebot an, doch als er sie galant auf der Tanzfläche herum wirbelte, fand sie schnell gefallen daran. Es war, als hätte dieser gut aussehende Adelige eine Tür in eine neue Welt geöffnet, denn seit diesem Abend wurde Luna immer öfter aufgefordert und verbrachte bald mehr Zeit als ihre Mutter im Rhythmus der Musik. Zwischen den Tänzen gaben sich die Herren oft Mühe, sie zu unterhalten, so dass sie Rahjala nur noch selten auf einem solchem Ball sah. Auch im Alltag verbrachten sie nicht mehr soviel Zeit miteinander wie früher. Luna wurde oft von einem jungen Werber ausgeführt und amüsierte sich in der Stadt, während Rahjala sich in ihren Büchern vergrub. Trotzdem hatten sie stets noch Zeit gefunden, in denen Luna Rahjala von ihren Erlebnissen in der Stadt berichtete und Spekulationen über ihre Verehrer anstellte.
Eines Tages jedoch hatte Rahjala sich einfach entschlossen, in die große weite Welt hinaus zu ziehen und sie hier in Havena zurück gelassen. Seitdem war alles irgendwie anders geworden. Nicht nur Luna selbst war oft schlecht gelaunt, weil ihre Ziehschwester ihr fehlte, auch ihre Eltern waren in dunkler Stimmung. Vor allem ihr Vater war sehr reizbar, weshalb sie ihm lieber so gut wie möglich aus dem Weg ging. Jedoch war ihr aufgefallen, dass ein bestimmter Mann, der immer zwei kräftige Begleiter bei sich hatte, ihren Vater immer öfter besuchen kam. Luna hatte ihn das erste Mal auf einem der Feste an einem Spieltisch gesehen und sofort hatte sie ein Unbehagen beschlichen. In den letzten Tagen hatte er immer öfter ihren Vater besucht – erst gestern war er da gewesen und Luna hatte laute, zornige Stimmen aus dem Arbeitszimmer ihres Vaters gehört.
Au, du hast mich gestochen. Pass doch besser auf!“, schimpfte Luna die Schneiderin.
Entschuldigt, edle Dame aber ich bin jetzt fertig. Ihr könnt es ausziehen und ihr werde es zu Eurem Anwesen schicken lassen, sobald es fertig ist.“
Dann können wir ja jetzt endlich gehen.“, sagte Petyr, Lunas jüngerer Bruder, der gelangweilt auf einem Sessel saß, weil ihre Mutter ihn gezwungen hatte, Luna zu begleiten. Er schwang sich auf, rückte seine Kleidung zurecht und strich sich durch die Haare.
Ich warte dann draußen. Ich brauch dringend frische Luft.“
Auf dem Heimweg war Luna recht schweigsam und dachte an Rahjala. Was sie wohl gerade machte? Ob sie wohl die Abenteuer gefunden hatte, die sie suchte? Und ob wie wohl jemals zurück kehrte?
Hey, mach doch nicht so ein grimmiges Gesicht!“
Ihr Bruder grinste und knuffte sie in die Seite.
Das ziemt sich nicht für eine edle Dame.“
Was weißt du schon von edlen Damen.“, erwiderte Luna. „Du prügelst dich doch immer nur mit Tamlin.“
Wir 'prügeln' uns nicht, sondern Tamlin, der beste Schwertkämpfer in Havena lehrt mich im Schwertkampf.“
Als Luna gerade zu einer Antwort ansetzten wollte, bemerkte sie einen Tumult. Irgendwer rief etwas von „Feuer“ und tatsächlich stand dort hinten ein Haus in Flammen. War das etwa ihre Villa? Auch Petyr blickte erschrocken in die Richtung, löste sich aber sofort aus der Starre und packte Luna am Arm.
Komm schnell. Hoffentlich ist niemandem etwas passiert!“
So schnell sie konnten, eilten sie dem Unglücksort entgegen.




Rahjala

Unschlüssig ging Rahjala in ihrem Schlafsaal auf und ab. Drei Tage waren seit der Schlacht um Elgern-Scharten vergangen und langsam verstreute sich das Volk wieder. Auch die Bluthunde wollten morgen in aller Frühe ihren Weg fortsetzten und der Hauptmann erwartete immer noch ihre Antwort. Allerdings hatte sie in den letzten Tagen immer mehr Zweifel bekommen, ob sie als einzige Frau mit einem Trupp Männer mitziehen sollte, die recht raue Umgangsformen pflegten. Ihre Gesellschaft war Rahjala immer öfter unangenehm geworden, so dass sie schließlich mehr Zeit auf der Burg verbrachte als im Lager. Dort hatte sie sich oft mit Lucan Velero unterhalten, der mit den Sturmreitern nach Elgern-Scharten gekommen war, von denen fast alle so heldenhaft ihr Leben in den unheimlichen Gewölben gelassen hatten. Nur noch er und Tjalva waren geblieben, was ihn zum neuen Käptn der "Irgendwas mit Hai" machte. Das Schiff musste neu bemannt werden und Lucan hatte Rahjala einen Platz angeboten. Zwar war Rahjala noch nie auf einem Schiff gereist, aber probieren geht über studieren und studiert hatte sie jetzt erst mal lange genug. Ja, sie würde dem Hauptmann einfach Lebewohl sagen und ihr erstes Abenteuer auf See erleben.

Seid ihr Rahjala Rosenrausch?“
Sie war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie gar nicht bemerkt hatte, dass ein junger Mann den Raum betreten hatte.
Ja, die bin ich. Was ist euer Begehr?“, antwortete sie.
Ich habe eine Nachricht für euch aus Havena."
Er überreicht ihr eine Schriftrolle, auf der das Siegel von und zu Echterdingens prangte.
Habt dank.“, sagte Rahjala und drückte dem Mann ein Kupferstück in die Hand.
Als sie das Schriftstück öffnete, erkannte sie sofort Lunas Schrift. Sie schien beim Verfassen geweint zu haben, denn an einigen Stellen war die Tinte verschmiert.



Geliebte Schwester,


ein großes Unglück ist über uns herein gebrochen. 
Banditen haben unser Haus ausgeraubt und es den Flammen übergeben. Zuvor jedoch ermordeten sie alle, die sich ihnen in den Weg stellten und mit schwerem Herzen muss ich dir berichten, dass auch unsere Eltern nicht mehr auf Dere weilen. 
Ich verstehe einfach nicht, wie sie dies am helligten Tage zustande brachten, denn keiner will etwas gesehen haben. Es sind wohl Nachforschungen angestellt worden, doch bisher konnten noch keine Ergebnisse vorgewiesen werden.
Ich bitte dich inständig auf schnellstem Wege zurück nach Havena zu kommen und mir in dieser schweren Stunde beizustehen. 
Du findest Petyr und mich im Hause von Setana von Meisenau, einer guten Freundin meiner geliebten Mutter, die auf so grausame Art von mir genommen wurde. 
Die Götter mögen dich auf deinem Weg beschützen und schnell zu mir bringen!

 
Luna



Ungläubig las Rahjala den Brief ein zweites Mal. Tränen traten in ihre Augen. Ihre Mutter tot? Das durfte nicht wahr sein! Wie konnten die Götter nur so grausam sein und einfach so alles vernichten, was sie einmal ihr zu Hause genannt hatte. Weinend sank Rahjala auf ihre Schlafstätte. Nach einer Weile besann sie sich jedoch. Nein, nicht alles, was ihr lieb war, war zerstört. Luna war am Leben und sie hatte Petyr in ihrem Brief erwähnt. Hoffentlich waren sie nicht verletzt. Wie hatten sie den Überfall überlebt? Sie musste sofort nach Havena, um mehr zu erfahren und Luna beizustehen.
Rahjala setzte sich auf, wischte sich die Tränen aus ihrem Gesicht und begann zu packen.


Petyr

Manchmal fragte sich Petyr, ob es ein Segen oder ein Fluch gewesen war, dass er Luna an dem Unglückstag zum Schneider begleitet hatte. Wenn er zu Hause gewesen wäre und mit Tamlin geübt hätte, dann hätte dieser vielleicht die Räuber außer Gefecht setzten können, denn Tamlin war der beste Schwertkämpfer weit und breit. Er hatte sich sofort bereit erklärt Luna und Petyr zu Tante Valeria nach Greifenfurt zu bringen. Und dann war Rahjala auch noch wiedergekommen und hatte sich ihnen auf der Reise angeschlossen.
Anfangs war es furchtbar gewesen immer nur reiten reiten reiten… Er war froh, dass sie schließlich einige Tage in Honingen bei Samuel Braelghan, einem alten Bekannten von Tamlin rasteten. Herr Braelghan sagte zwar er sei Papiermacher, aber Petyr hatte ihn nie Papier machen sehen und er schien auch ziemlich reich für einen Papiermacher zu sein. Aber Petyr war das egal, hauptsache er konnte endlich mal wieder in einem ordentlichen Bett schlafen und was Vernünftiges zu Essen bekommen. Doch bald ging es weiter und wieder hieß es reiten bis einem der Hintern wehtat.
In Gratefenfels hatten er mit Luna und Rahjala die heißen Schwefelgruben besichtigt, die zwar tolle Farben aufwiesen, aber ziemlich gestunken hatten. In dem Nebel war es ihm allerdings gelungen, Luna so zu erschrecken, dass sie fast in einen dieser stinkenden Tümpel gefallen wäre, so dass seine Schwester ganz schön böse auf ihn gewesen war. Aber den Spaß war es wert gewesen.
Tamlin hatte unterdessen eine andere Reisegruppe gefunden, die die Kosch Berge überqueren wollte, was sich auch als ganz gut herausstellte. Als sie nämlich mitten im Gebirge waren, kamen plötzlich ein paar Räuber und wollten ihre Habseligkeiten stehlen. Petyr hatte mitkämpfen wollen, aber Tamlin hatte es ihm verboten und ihm befohlen, sich mit den Mädchen zu verstecken. Immerhin war Rahjala auch so neugierig gewesen, den Kampf zu beobachten, so dass sie sich ein gutes Plätzchen gesucht hatten, wo sie den Kampf mitverfolgen konnten. Die Leute mit denen sie mitgereist waren, konnten ganz gut mit dem Schwert umgehen, sie waren jedoch nichts gegen Tamlin, der gleich drei Räuber inklusive dem Hauptmann kalt machte. So hatten sie schließlich auch dieses Hindernis passiert und bis Greifenfurt geschah nichts Aufregendes mehr, außer dass Tamlin ihm zeigte, wie man Hasen jagt.
Nun waren sie endlich bei Tante Valerie angekommen, die ein Gasthaus in Greifenfurt besaß und sie sehr freundlich aufgenommen hatte. Es war schon komisch, dass er jetzt hier leben sollte Auch war es komisch, dass er seine Eltern nicht wirklich vermisste. Damals in seinem alten Leben, das ihm nach dieser langen Reise wie eine Ewigkeit her vorkam, hatte er sie nie viel zu Gesicht bekommen. Seine Mutter bevorzugte die Gesellschaft von Erwachsenen und sein Vater sass meist an seinen Spieltischen, wo Petyr nicht hin durfte. Einige Freunde würde er wohl vermissen, aber immerhin war Tamlin hier und wollte auch weiterhin sein Lehrmeister bleiben.
Du bist dran.“, sagte Rahjala.
Petyr schreckte aus seinen Gedanken hoch und betrachtete das Spielbrett. Schon wieder schien Rahjala ihn ausgetrickst zu haben. Langsam machte es wirklich keinen Spaß mehr.
Och, ich hab keine Lust mehr, Rahjala. Du gewinnst ja sowieso immer.“
Rahjala? Rahjala Rosenrausch?“
Eine Frau in einem edlen weißen Gewand mit einem Stab auf dem eine blaue Kugel prangte kam an ihren Tisch.
Delilah?“ Rahjala stand auf. „Wie schön Euch zu sehen! Was führt euch nach Greifenfurt?“
Ich bin mit Kazan, Gunilda und Lindariel unterwegs über den Finsterkamm Pass nach Lowangen. Aber wollt ihr nicht herüber an unseren Tisch kommen?“
Sehr gerne.“
Die Reisegruppe hatte einen größeren Tisch in der Mitte der Gaststube belegt. Dort sass ein in glänzende, rot-schwarze Stoffe gekleideter Mann mit einem Turban, der ebenfalls einen Stab hinter sich an die Wand gelehnt hatte, eine Frau in einem grünem, wollenem Gewand, auf das eine Ähre gestickt war und ein Elf. Das konnte ja aufregend werden, was die wohl alles für Geschichten zu erzählen hatten…




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